3 S E R I E TONSTUDIOS
Pause in den A u fn ah m erau m . S p o n ta-
n er E indruck: In dessen A k u stik k an n
m an sich verlieben, allen Einw änden zum
T rotz. G erade w en n In stru m en te bzw.
Instrum entengruppen allein spielen, tö n t
es einzigartig. W ährend in vielen K irchen
der Eigenklang der Instrum ente aufgrund
extrem en Halls nivelliert w ird, h ö rt m an
h ier G locken, h o h e S treicher o d er Blä-
ser se h r k lar u n d d o ch etw as anders,
wie durch d ru n g en von der A tm osphäre
dieses O rtes, was n ich t zuletzt der sich
n ach ob en h in v e rd u n k e ln d e optische
E in d ru ck (au fg ru n d n ach u n te n stra h -
lender Lam pen) unterstützt. Ein w ahrer
G enuss auch im V ergleich zu m R egie-
rau m , w o die A k u stik d u rc h R a u m -
ak u stik elem en te an D ecke u n d W ä n -
den au f trockene, analytische D u rch h ö r-
b ark eit g etrim m t ist. A ber auch in d er
K irche selbst gibt es sichtbare Faktoren,
die zu m K lan geindruck beitragen: D er
B oden besteht w eitgehend aus H olz, das
Peter
K.
Burkowitz
wurde nicht nur in der
Jesus-Christus-Kirche
konfirmiert
und
ge-
traut, er nutzte auch
nach dem
2. Weltkrieg
deren akustische Mög-
lichkeiten als einer der
Ersten. In seinem 2011
kurz vor seinem Tod
überarbeiteten
Buch
blickt die Studio-Kory-
phäe auf ein Jahrhundert der Tonaufzeich-
nung zurück. Unterhaltsam, informativ und
eigenwillig, was der Erfinder, Ingenieur,
Tonmeister und Musikmanager zu erzäh-
len hat, nicht zuletzt über Kontakte zu be-
rühmten Musikern, Popstars und Orches-
tern. Die lockere Sprache er I eichtert den
Einstieg in die nicht selten technisch sehr
komplexe Materie.
Peter K. Burkowitz: Die W elt des Klangs -
Musik auf dem Weg vom Künstler zum Hörer
(Schiele & Schön), 400 Seiten, 49,90 Euro
w eniger h art reflektiert als Stein,
u n d im u nteren Bereich der Sei-
tenw ände sind V orhänge zugezo-
gen, die höhere Frequenzbereiche
däm pfen.
D ennoch kan n m an die A ugen
bzw. O hren vor spezifischen Prob-
lem en nicht verschließen. A uf den
h in te re n B än k en v erste h t m a n
die A nsage des D irig en ten n u r
schlecht, u n d O rchesterm usiker
bestätigen, dass sich auch die M usik er
untereinander n icht ideal hören. G erade
für die vorderen Streicher und weiter h in -
ten sitzende Bläser ist es problem atisch,
bei m usikalisch seh r d ic h ten Passagen
schnelle N otenw erte zusam m en zu spie-
len. Eine H erkulesaufgabe für den D iri-
genten. „H ört in den R aum hinein, en t-
w ickelt ein G espür dafür, wie das Stück
weniger hallig klingen w ürde”, beschw ört
N aw ri u n d gibt dem O rchester konkrete
Hinw eise: „N ach dem dreifachen Forte
„Das Entscheidende passiert vor dem Mikro"
In seiner S tudenten-
z e it e rh ie lt Florian
B. S chm idt wich-
tig e Eindrücke bei
P roduktionen der
Decca-Reihe „E n t-
artete M u sik". S e it
Abschluss seiner
Tonm eisterausbil-
dung
1996
h a t sich
die Beziehung zu r
Jesus-Christus-Kir-
che w e iter ve rtie ft
Machen Sie sich vor einer Produktion mit
dem Aufnahmeraum vertraut?
Unbedingt. Wenn ich in einen Raum
kom-
me, wo ich noch nie war, klatsche ich und
höre sofort: Wie klingt der Nachhall, wie
viel Schall kommt zurück, gibt es Flatter-
echos? M
it der Zeit bekommt man m
it vielen
Räumen Erfahrung und kann dann auf be-
stimmte technische Set-Ups zurückgreifen.
Zusätzlich studieren meine Kollegen und
ich im
Vorfeld genau die Partitur und entwi-
ckeln darauf aufbauend bestimmte Ideen.
Das Motto „We’ll fix it in the mix" halte ich
für fatal. Denn wenn die Mikrofone falsch
positioniert sind, handle ich mir möglicher-
weise Probleme ein, die ich nicht wieder be-
heben kann. Deshalb geht mein Team
beim
Mikrofonieren sehr sorgfältig vor, denn in
der Probe hat man meist nicht viel Zeit für
Anpassungen.
Auch die Sitzordnung eines Orchesters
wirkt sich auf die Akustik aus. Nehmen Sie
darauf Einfluss?
Die Sitzordnung ergibt sich in der Regel aus
den Vorstellungen des Dirigenten, aber im
Einzelfall kann man in Absprache zum
Beispiel
ein Instrument weiter weg von der Wand posi-
tionieren, um
weniger frühe Reflektionen ein-
zufangen, die den Klang verfärben.
Welche Philosophie verfolgen Sie: Wollen
Sie den Zuhörer mit Ihrer Aufnahme an
den akustisch idealen Ort der Jesus-Chris-
tus-Kirche versetzen? Oder einfach eine
gute Aufnahme ins Wohnzimmer des Hörers
transportieren?
Wenn man in der Jesus-Christus-Kirche auf-
nimmt, wird es dort immer Aufgabe sein, den
Raum
m
it seiner spezifischen Akustik abzubil-
den - die akustische Umgebung auszublenden
würde dort eh nicht funktionieren. Schön ist
ihr luftiges Klangbild, das entsteht, wenn frühe
Reflektionen einen sehr geringen Anteil ha-
ben. Dazu kommen die Länge und vor allem
die
spektrale Zusammensetzung des Nachhalls.
Normalerweise ist für Kirchen typisch, dass
sie im
tieffrequenten Bereich lange Nachhall-
zeiten haben. In der Jesus-Christus-Kirche hat
man zusätzlich ein sehr hell gefärbtes Spekt-
rum, was bewirkt, dass ich auch innerlich
einen hohen Raum
höre - das verstärkt das
subjektive Gefühl der Luftigkeit. Zudem ist der
Klang sehr eben, man müsste sich also schon
ungeschickt anstellen, um
Flatterechos zu er-
zeugen.
BeiderKagel-Aufnahme äußerten Sie:„Was
für Karajan Gold war, ist es für Kagel nicht
unbedingt".
Bei spätromantischen Sinfonien komme ich
in der Jesus-Christus-Kirche bestens zurecht,
etwa wenn ein Instrument über seidigen
Streichern eine elegische Melodie ausbrei-
tet. Bei Kagel dagegen gibt es sehr dichte
Strukturen, einzelne Linien müssen hörbar
gemacht werden. Das bedeutet an diesem
Aufnahmeort viel Arbeit.
Warum haben Sie den Sprecher nicht
akustisch durch Stellwände vom Orchester
abgeschirmt?
Stellwände sind immer auch m
it bestimm-
ten Reflektionen verbunden. Zudem
ist mein
erstes Ziel, dass sich die Künstler wohl-
fühlen, denn das Entscheidende passiert
immer vor dem
M
ikrofon. Wenn die Musiker
vom
Rezitator inspiriert werden, dann über-
wiegt das bei Weitem
den Nachteil, dass
minimal Instrumentenschall in das M
ikrofon
des Sprechers einstreut - zumal dieses in
unserem Fall eine Supernieren-Charakteris-
tik hat und damit umgebenden Schall sehr
stark ausblendet.
Demnächst soll in unmittelbarer Umge-
bung der Jesus-Christus-Kirche ein Haus
abgerissen und dafür ein neues gebaut
werden .
..
Nicht zuletzt aufgrund ihrer Größe kann man
es sich nicht leisten, die Jesus-Christus-Kir-
che akustisch abzuschirmen. Man muss
eben m
it kurzen Unterbrechungen leben,
wenn Schneebretter das Dach herunter-
rutschen oder Rettungshubschrauber auf
benachbarten Wiesen landen, ganz abge-
sehen vom
Verkehr und spielenden Kindern.
Aber bei längeren Baumaßnahmen muss
man in der Zeit natürlich auf andere Studios
ausweichen - schade.
22 STEREO 12/2014